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Freitag, 2. August 2013

vom schönsein

es ist sommer, endlich ist es heiss. ohne kurze hosen und röcke geht’s bei über 30 grad fast gar nicht, das gilt auch für die, die sonst nicht soviel haut zeigen. jedes jahr aufs neue finde ich verrückt, wie verpflichtend die rasur von körperbehaarung bei frauen ist. überall sehe ich nur noch glattes, rasiertes frauenbein und auch männer hat diese mode mehr und mehr im griff. das betrifft natürlich auch die achselhaare. eine gute gelegenheit mal wieder über unsere schönheitsideale nachzudenken.

in gesprächen mit freunden und bekannten kommt es immer mal auf das thema beinbehaarung. egal, ob helles oder dunkles haar, egal, ob üppig bewachsen oder kaum zu sehen – das muss alles ab! da ist man sich ziemlich einig. in der begründung wiederum liegen unterschiede: da sei ja einfach nicht schön. und dann immer wieder die frage: finden das nicht männer voll eklig, wenn man beinbehaarung hat?

sicher gibt es menschen, die das eklig finden. manche finden „oberlippenbärte sind die absolute härte“ und manche wiederum finden achselhaare abstoßend. haare sind nicht gerade beliebt in unserer gesellschaft. schade eigentlich. haare sind immerhin nicht sinnlos, sondern haben ja ihre aufgaben und sie können – wenn sie gepflegt sind – teil der mode sein. aber daher gleich ganz ab, alles? auch die komplette intimrasur hat sich mittlerweile so durchgesetzt, dass alles andere als „anders“ und selten gilt (taz.de).

es ist natürlich eine frage des geschmacks. und jeder sollte darüber selbst entscheiden dürfen. nichts liegt mir ferner, als jemandem vorzuschreiben, wie er sich wo wann rasieren solle. aber haben wir da immer so eine freie wahl? wo ist die grenze zwischen dem eigenen schönheitsempfinden und dem öffentlichen schönheitsideal? manche rasieren sich, weil sie angst haben, als eklig wahrgenommen zu werden. weil sie verspottet werden, wenn sie nicht dem haarlosen ideal entsprechen. manche rasieren sich, weil sie denken oder auch wissen: andere finden das schön. ohne sicher klarzubekommen, was sie selbst noch schön finden. da schließ ich mich nicht aus – meine eigenen vorstellungen von schönheit sind stark gesellschaftlich geprägt, sich komplett loslösen davon ist vermutlich unmöglich. aber sich immer wieder gedanken darüber zu machen, hilft. zu reflektieren: was will ich eigentlich? wie finde ich mich selbst schön, wie fühle ich mich wohl?

die intimrasur der frau wurde im feministischen diskurs immer auch deshalb als problematisch bezeichnet, weil sie die erwachsene frau verniedlichen will, sie zum kind macht. Dies wird auch als infantilisierung der frau bezeichnet und unter anderem in einem artikel von andrea heinz mit dem titel „mein busch gehört mir!“ (anschlaege.at) zum thema gemacht. es zeigt, dass das persönliche auf seine weise auch politisch ist. und schönheit nicht nur subjektives wahrnehmen ist. schönsein bedeutet für viele soviel stress, dabei können wir doch auf so unterschiedliche weisen schön sein. sich das bewusst zu machen, macht sogar schön. denn: schön ist doch der, der sich in seiner haut (und seinem haar) wohlfühlt.

sowieso: der sommer ist eine viel zu tolle jahreszeit, als sich über das aussehen des eigenen körpers zu sorgen. nu ab nach draussen!

Dienstag, 4. Oktober 2011

historische altlasten auf reisen - als junge deutsche in israel


für vier wochen waren eine freundin und ich in israel und jordanien auf reisen. wir waren auf eigene faust unterwegs und wenn ich zurückblicke, denke ich: als pauschaltourist wäre einiges leichter gewesen. ich hab sie oft genug gesehen, die busse, die eine ladung touristen auskippen. die mit hut und kamera ausgestatteten urlauber spazieren einmal durch die jerusalemer altstadt, machen ein paar fotos, kehren zurück in den bus und weiter geht’s. kaum kontakt zur bevölkerung vor ort. das ist nicht die art des reisens, die mir entspricht, aber sie wäre manchmal wirklich bequemer gewesen. denn unabhängig unterwegs sein bedeutet enge kontaktaufnahme mit einheimischen und die ist manchmal schön und manchmal ist sie anstrengend. während der vier wochen sind meine freundin und ich fast immer privat untergekommen und sind fast jede strecke per anhalter gefahren. spannende gespräche sind dabei das, was man sucht. und doch bin ich gerade in israel dabei immer wieder an meine grenzen gekommen. es ist merkwürdig, als junge frau aus deutschland dort zu sein.

in yad vashem, in der großen gedenkstätte für die nationalsozialistische judenvernichtung in jerusalem, da habe ich eine große scham empfunden. für mich sind die dort dargestellten fakten über das dritte reich nicht neu. ich wurde mit der thematik oft genug in der schule konfrontiert, durch das ganze leben meiner generation zieht sich die beschäftigung mit dem nationalsozialismus. wer von uns hat nicht manchmal gedacht, man könnte den schwerpunkt im geschichtsunterricht nicht ein wenig verschieben? als schüler hing uns das thema fast schon zum hals heraus. und dann ich in yad vashem. ich bin umgeben von israelis, die zum teil in schulklassen oder mit der armee dort hinkommen, um sich ausgiebig mit der geschichte des antisemitismus, mit den konzentrationslagern und hitlers krankem morden zu beschäftigen. einige der jungen mädchen weinen, als sie vor den reich mit informationen gespickten tafeln stehen. ich wage nicht, deutsch zu sprechen. ich will nicht dazugehören, ich will mit der ganzen sache überhaupt nichts zu tun haben. ich empfinde keine schuld, denn ich war nicht dabei. aber die scham für die gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin, die scham für meine vorfahren, ist unermesslich groß. derart groß habe ich sie nie empfunden, selbst im geschichtsunterricht in der schule nicht.

in gesprächen mit jungen israelis kommt immer wieder die aussage: „du musst dich nicht schuldig fühlen. das warst nicht du. das ist nicht teil von dir.“ ich bin froh, dass sie so denken und dass sie offen auf mich zugehen. sie haben mit ihrer aussage recht und haben gleichzeitig nicht recht: denn irgendwie ist es doch teil von mir.

fragt man israelis nach ihrer familie, folgt als antwort fast immer eine faszinierende geschichte. die meisten erzählen gern, woher ihre eltern oder großeltern kommen. jede familie hat viel erlitten, viele haben den holocaust nur knapp überlebt, unzählige verloren nahestehende angehörige. die menschen in israel empfinden stolz für ihr land und gleichzeitig stolz für die geschichte ihrer familie. die meisten von ihnen dienen gern in der armee und damit für den israelischen staat, weil dies das land ist, das ihre familie gerettet hat. sie sprechen mit stolz in der stimme davon, was ihre familie erlebt und überstanden hat, was sie in dem neuen staat geleistet und aufgebaut hat.
und ich? ich schaue zurück und kann nicht stolz sein. ich schäme mich.

wie oft habe ich mir in den letzten wochen gewünscht, keine deutsche zu sein. weil ich dachte, dass mir die menschen anders begegnen würden. und weil ich diese historische last nicht tragen wollte.

zum beispiel sind diskussionen über die situation im nahen osten häufig von anfang an problematisch. die israelische regierung zu kritisieren – fast unmöglich. kritik am israelischen staat und am system wird leider immer wieder als antisemitismus interpretiert. die stellungnahme für die muslime auf der welt genauso. natürlich finden diese prozesse nicht in jedem gespräch statt und häufig ist meine eigene angst davor stärker als der vorwurf von außen. doch immer wieder tauchen elemente davon auf. einmal sitzen wir mit einem jüdischen israeli im auto. nachdem wir berichten, dass wir aus deutschland kommen, geht es plötzlich um die muslime in deutschland. hass und abscheu ist herauszuhören, als der fahrer über meine muslimischen mitbürger spricht. das ist nicht mehr nur vorurteil oder unwissenheit über die „anderen“, das ist deutlich mehr. dieser hass macht mir gänsehaut und angst. ich versuche zu kontern, scheitere an seinen religiös begründeten argumenten und an der tatsache, dass ich als deutsche nicht frei sprechen kann. ich merke, wenn ich weiterrede, beziehe ich so stark position für die muslime weltweit, dass er mich als eine antisemitin betrachten könnte. ich bin nicht frei. plötzlich weiß ich wieder, was es heißt, aus deutschland zu kommen. aus einem land, in dem vor einigen jahrzehnten ein furchtbarer genozid stattfand. ich dachte, das sei vergangenheit. nun merke ich, das thema ist topaktuell, ich muss aufpassen, wohin ich trete. es belastet mich, dass ich diese bürde schleppen muss. ich werde wieder wütend. auf die menschen in deutschland, die damals solches morden zugelassen und ihre augen verschlossen haben. auf die situation heute, auf die schwere historische last, die meine generation zu tragen hat.

wie würde ein solches gespräch ablaufen, wäre ich anderer herkunft? ich weiß es nicht. ich weiß nur: ich muss sehr vorsichtig sein. wie die gespräche laufen. wie ich mich selbst einbringe, welche worte ich wähle.

irritierend war für uns auch immer wieder die große bedeutung des militärs. kommend aus einem land, in dem gerade die wehrpflicht abgeschafft wurde, ist ein land mit strikter wehrpflicht ein wenig befremdlich. und in israel ist dieser wehrdienst in extremem ausmaß zu leisten: für männer sind es ganze drei, für frauen zwei jahre, die in der armee gedient werden. es gibt zwar offiziell möglichkeiten zur verweigerung, doch was uns in gesprächen bestätigt wird, ist dies: wer sich dem wehrdienst verweigert, wird bis heute gesellschaftlich geächtet. so ist es beispielsweise schwierig, einen job zu bekommen ohne vorher für die armee gedient zu haben. darunter leiden vor allem die männer, denen die verweigerung insgesamt sehr schwer gemacht wird und die unter umständen auch trotz offizieller anerkennung mit einer haftstrafe rechnen müssen. ein verrücktes system, welches das militär stetig hochhält und als besonders wichtig in den köpfen der jungen menschen verankert. dann sieht man auf den straßen diese unglaublich jungen soldaten – oft gerade erst 18 jahre alt – und sieht die gefahr der manipulation dieser menschen, die fast noch kinder sind.

eine erstaunliche mischung: das starke auftreten vom militär, verknüpft mit stolz auf die familie und das land, dazu die ständige opferrolle, in der sich der israelische staat präsentiert. mir macht das angst. gerade als deutsche. gerade als eine person, die die historische last der nation aus der sie kommt nicht tragen kann und will. hoffentlich vergessen die menschen bei allem nicht ihre eigene geschichte. aber nicht nur, um stolz zu empfinden, ist das wichtig. sondern vielmehr um daraus zu lernen, dass so etwas nie mehr geschehen darf. auf dass keine künftige generation sich mehr derartig schämen muss. nicht in deutschland, nicht in israel, nicht in palästina.