Sonntag, 23. Oktober 2011

nieder mit der gleichgültigkeit!

manchmal wirkt meine wut und meine empörung auf andere übertrieben oder überreagiert. zum teil kann ich das verstehen. gleichzeitig empört mich das erneut. wer legt denn fest, worüber ich mich aufregen darf? ab wann ist aufregen zuviel aufregen?

ich denke, dass es gut für unsere gesellschaft wäre, sich häufiger mal zu empören. viel zu vieles wird einfach akzeptiert, wird einfach hingenommen, als sollte es so sein. weil es so ist. dabei ist nicht alles, was wir als normal empfinden, allein durch diesen fakt der normalität in ordnung. auch das scheinbar normale kann empören. auch das gesellschaftlich anerkannte kann mich wütend machen. meistens sogar genau das.

und ich glaube, es gibt zuviel gleichgültigkeit auf der welt. zuviel schauen weg, verschließen ihre augen vor sensiblen themen, vor leid und ungerechtigkeit. bequem dazusitzen und zu sagen: reg dich doch nicht auf! - das machen viel zu viele menschen. es ist ja auch so leicht.

ich möchte in diesem punkt das gegenteil leben. in meinem blog bin ich sicherlich oft sehr emotional und provokant. ich möchte damit anregen, über die dinge zu diskutieren. ich möchte die normalität von begriffen und gegebenheiten in frage stellen. auch wenn das manch einer zuviel, zu subjektiv, zu wütend oder übertrieben ist – genauso werde ich weitermachen. ich möchte mich nicht einreihen in die gleichgültigkeits-schiene, auf der einige unterwegs sind. wahrscheinlich habe ich dieses bedürfnis, mich richtig kräftig aufzuregen, weil ich merke, dass einige sich gar nicht mehr aufregen. das ist dann quasi mein harmonie-bedürfnis, das ausgleichen möchte. und wer hat schon etwas gegen harmonie einzuwenden?? :-)

Donnerstag, 13. Oktober 2011

"rassig pikant"


gestern ist er mir wieder begegnet – der begriff "rassig". ich bekomme fast eine gänsehaut, wenn ich das wort lese und höre, stelle aber immer wieder mit erstaunen fest, dass der großteil meiner mitmenschen ihn mit einer ungeheuren selbstverständlichkeit benutzen. mit einer unschuldigkeit, die mich verblüfft. eine "rassige frau" – klar, der begriff wurde so lang in dieser bedeutung genutzt, dass wir uns tatsächlich etwas darunter vorstellen können: meist eine dunkelhaarige und sonnengebräunte frau mit einem wohlgeformten, weiblichen körper, eine attraktive frau mit einer gewissen "exotik" ... das sind die assoziationen. dennoch sollte sich keiner etwas vormachen, der begriff "rassig" kommt vom wortstamm rasse. "rassig" drückt also aus, dass die person von einer fremden rasse ist, die teils als die "edle rasse", teils als die "primitive rasse" gemeint ist. sucht man im internet nach synonymen, erscheinen bald begriffe wie wild, heißblütig, vollblütig, von edler art/rasse ... sind wir hier auf einem diskurs, der die vorstellung vom "primitiven" – von dem wir denken, sie sei längst aus unseren köpfen verschwunden – ständig aktiviert?

auch auf viele heirats- und partnervermittlungen stößt man bei der suche nach "rassig" im internet. da werden vor allem frauen aus ost- und südeuropa sowie lateinamerika mit dem genannten schlagwort angepriesen. und in einigen foren fragen sich junge menschen: "was bedeutet eigentlich rassige frau für euch?". in den ganzen diskussionen findet leider nicht die nach der echten bedeutung des begriffes statt, kaum einer hinterfragt das unscheinbare wort. sowieso: "rassig" wird insgesamt stärker mit frauen als mit männern in verbindung gebracht. mit der vorstellung einer selbstbewussten und "wilden" frau, die gezähmt werden muss. eine frau, die stürmisch und leidenschaftlich und wahrscheinlich "allzeit bereit" ist. wie sexy! für mich ist das ganze ein klassisches abbild unseres männer-frauen-machtverhältnisses, das zudem stark sexualisiert ist.

häufig wird der begriff "rassig" in zusammenhang mit dem kleinen – ebenso scheinbar belanglosen - wort "zigeuner" gebracht, auch das gilt heute als politisch inkorrekt, weil es genauso wie "neger" zu häufig in abwertender form verwendet wurde. historische altlasten eben, mit denen wir heute leben müssen.

ihren höhepunkt erreicht meine empörung jedoch bei kraft foods. die werben doch tatsächlich für eine "zigeunersauce – rassig pikant" (siehe zigeunersaucenverkauf online). da treffen direkt zwei begriffe aufeinander, die nicht haltbar sind und werden in der kombination zu einer verdopplung von politischer inkorrektheit. wer denkt sich sowas aus? skandalös finde ich das, ignorant und ekelhaft.

Donnerstag, 6. Oktober 2011

vom schreiben


ich wurde gefragt, warum ich meinen text zur israel-reise erst jetzt - einige monate nach meinem aufenthalt im nahen osten - online gestellt habe (siehe historische altlasten auf reisen.). die antwort ist diese: ich wollte die gedanken, die ich nach meiner reise formuliert habe, zunächst in einer zeitung oder zeitschrift veröffentlichen. leider hat das nicht geklappt, da mein text zu emotional ist. zu wenig fakten, zu wenig aktuelles geschehen aus objektiver sicht, das ist, was mir die redakteurinnen als grund für die absage nannten. der artikel passt nicht ins format der zeitungen.

nun das stimmt, ich schreibe nicht objektiv, ich schreibe nicht sachlich, ich schreibe nicht fakten-orientiert. ich schreibe deshalb so, weil ich nicht glaube, dass es so etwas wie objektivität gibt. weil ich nicht glaube, dass nur sachlichkeit und nüchterne fakten uns weiterbringen. natürlich ist die weitergabe von informationen unglaublich wichtig, auch daran glaube ich. aber gleichzeitig möchte ich auch keine objektivität vortäuschen, die nicht vorhanden ist. und ein bericht über eine reise ist etwas zutiefst subjektives. meine absicht war in diesem artikel, meine emotionen wiederzugeben und die leserin nachfühlen zu lassen, wie es für mich war, als deutsche in israel zu sein. welchen nutzen das hat? vielleicht keinen direkt erkennbaren. vielleicht wäre ein bericht voller fakten und informationen wirklich "sinnvoller". aber wer entscheidet über den sinn? wer entscheidet, welche worte und inhalte "sinnvoll" sind und uns weiterbringen? ich selbst finde es spannend, reiseberichte oder biografien zu lesen, bei denen ich wirklich nachvollziehen kann, was in der schreiberin  in der jeweiligen situation vorgegangen ist. mich haben texte solcher art bestimmt schon weitergebracht. häufig geben sie interessante einblicke in die persönlichkeit der schreibenden und regen zum nachdenken und zur meinungsbildung an an. und anstöße zum nachdenken und zur meinungsbildung finde ich auf jeden fall "sinnvoll" – egal, ob im blog, in der tageszeitung oder einem magazin.

Dienstag, 4. Oktober 2011

historische altlasten auf reisen - als junge deutsche in israel


für vier wochen waren eine freundin und ich in israel und jordanien auf reisen. wir waren auf eigene faust unterwegs und wenn ich zurückblicke, denke ich: als pauschaltourist wäre einiges leichter gewesen. ich hab sie oft genug gesehen, die busse, die eine ladung touristen auskippen. die mit hut und kamera ausgestatteten urlauber spazieren einmal durch die jerusalemer altstadt, machen ein paar fotos, kehren zurück in den bus und weiter geht’s. kaum kontakt zur bevölkerung vor ort. das ist nicht die art des reisens, die mir entspricht, aber sie wäre manchmal wirklich bequemer gewesen. denn unabhängig unterwegs sein bedeutet enge kontaktaufnahme mit einheimischen und die ist manchmal schön und manchmal ist sie anstrengend. während der vier wochen sind meine freundin und ich fast immer privat untergekommen und sind fast jede strecke per anhalter gefahren. spannende gespräche sind dabei das, was man sucht. und doch bin ich gerade in israel dabei immer wieder an meine grenzen gekommen. es ist merkwürdig, als junge frau aus deutschland dort zu sein.

in yad vashem, in der großen gedenkstätte für die nationalsozialistische judenvernichtung in jerusalem, da habe ich eine große scham empfunden. für mich sind die dort dargestellten fakten über das dritte reich nicht neu. ich wurde mit der thematik oft genug in der schule konfrontiert, durch das ganze leben meiner generation zieht sich die beschäftigung mit dem nationalsozialismus. wer von uns hat nicht manchmal gedacht, man könnte den schwerpunkt im geschichtsunterricht nicht ein wenig verschieben? als schüler hing uns das thema fast schon zum hals heraus. und dann ich in yad vashem. ich bin umgeben von israelis, die zum teil in schulklassen oder mit der armee dort hinkommen, um sich ausgiebig mit der geschichte des antisemitismus, mit den konzentrationslagern und hitlers krankem morden zu beschäftigen. einige der jungen mädchen weinen, als sie vor den reich mit informationen gespickten tafeln stehen. ich wage nicht, deutsch zu sprechen. ich will nicht dazugehören, ich will mit der ganzen sache überhaupt nichts zu tun haben. ich empfinde keine schuld, denn ich war nicht dabei. aber die scham für die gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin, die scham für meine vorfahren, ist unermesslich groß. derart groß habe ich sie nie empfunden, selbst im geschichtsunterricht in der schule nicht.

in gesprächen mit jungen israelis kommt immer wieder die aussage: „du musst dich nicht schuldig fühlen. das warst nicht du. das ist nicht teil von dir.“ ich bin froh, dass sie so denken und dass sie offen auf mich zugehen. sie haben mit ihrer aussage recht und haben gleichzeitig nicht recht: denn irgendwie ist es doch teil von mir.

fragt man israelis nach ihrer familie, folgt als antwort fast immer eine faszinierende geschichte. die meisten erzählen gern, woher ihre eltern oder großeltern kommen. jede familie hat viel erlitten, viele haben den holocaust nur knapp überlebt, unzählige verloren nahestehende angehörige. die menschen in israel empfinden stolz für ihr land und gleichzeitig stolz für die geschichte ihrer familie. die meisten von ihnen dienen gern in der armee und damit für den israelischen staat, weil dies das land ist, das ihre familie gerettet hat. sie sprechen mit stolz in der stimme davon, was ihre familie erlebt und überstanden hat, was sie in dem neuen staat geleistet und aufgebaut hat.
und ich? ich schaue zurück und kann nicht stolz sein. ich schäme mich.

wie oft habe ich mir in den letzten wochen gewünscht, keine deutsche zu sein. weil ich dachte, dass mir die menschen anders begegnen würden. und weil ich diese historische last nicht tragen wollte.

zum beispiel sind diskussionen über die situation im nahen osten häufig von anfang an problematisch. die israelische regierung zu kritisieren – fast unmöglich. kritik am israelischen staat und am system wird leider immer wieder als antisemitismus interpretiert. die stellungnahme für die muslime auf der welt genauso. natürlich finden diese prozesse nicht in jedem gespräch statt und häufig ist meine eigene angst davor stärker als der vorwurf von außen. doch immer wieder tauchen elemente davon auf. einmal sitzen wir mit einem jüdischen israeli im auto. nachdem wir berichten, dass wir aus deutschland kommen, geht es plötzlich um die muslime in deutschland. hass und abscheu ist herauszuhören, als der fahrer über meine muslimischen mitbürger spricht. das ist nicht mehr nur vorurteil oder unwissenheit über die „anderen“, das ist deutlich mehr. dieser hass macht mir gänsehaut und angst. ich versuche zu kontern, scheitere an seinen religiös begründeten argumenten und an der tatsache, dass ich als deutsche nicht frei sprechen kann. ich merke, wenn ich weiterrede, beziehe ich so stark position für die muslime weltweit, dass er mich als eine antisemitin betrachten könnte. ich bin nicht frei. plötzlich weiß ich wieder, was es heißt, aus deutschland zu kommen. aus einem land, in dem vor einigen jahrzehnten ein furchtbarer genozid stattfand. ich dachte, das sei vergangenheit. nun merke ich, das thema ist topaktuell, ich muss aufpassen, wohin ich trete. es belastet mich, dass ich diese bürde schleppen muss. ich werde wieder wütend. auf die menschen in deutschland, die damals solches morden zugelassen und ihre augen verschlossen haben. auf die situation heute, auf die schwere historische last, die meine generation zu tragen hat.

wie würde ein solches gespräch ablaufen, wäre ich anderer herkunft? ich weiß es nicht. ich weiß nur: ich muss sehr vorsichtig sein. wie die gespräche laufen. wie ich mich selbst einbringe, welche worte ich wähle.

irritierend war für uns auch immer wieder die große bedeutung des militärs. kommend aus einem land, in dem gerade die wehrpflicht abgeschafft wurde, ist ein land mit strikter wehrpflicht ein wenig befremdlich. und in israel ist dieser wehrdienst in extremem ausmaß zu leisten: für männer sind es ganze drei, für frauen zwei jahre, die in der armee gedient werden. es gibt zwar offiziell möglichkeiten zur verweigerung, doch was uns in gesprächen bestätigt wird, ist dies: wer sich dem wehrdienst verweigert, wird bis heute gesellschaftlich geächtet. so ist es beispielsweise schwierig, einen job zu bekommen ohne vorher für die armee gedient zu haben. darunter leiden vor allem die männer, denen die verweigerung insgesamt sehr schwer gemacht wird und die unter umständen auch trotz offizieller anerkennung mit einer haftstrafe rechnen müssen. ein verrücktes system, welches das militär stetig hochhält und als besonders wichtig in den köpfen der jungen menschen verankert. dann sieht man auf den straßen diese unglaublich jungen soldaten – oft gerade erst 18 jahre alt – und sieht die gefahr der manipulation dieser menschen, die fast noch kinder sind.

eine erstaunliche mischung: das starke auftreten vom militär, verknüpft mit stolz auf die familie und das land, dazu die ständige opferrolle, in der sich der israelische staat präsentiert. mir macht das angst. gerade als deutsche. gerade als eine person, die die historische last der nation aus der sie kommt nicht tragen kann und will. hoffentlich vergessen die menschen bei allem nicht ihre eigene geschichte. aber nicht nur, um stolz zu empfinden, ist das wichtig. sondern vielmehr um daraus zu lernen, dass so etwas nie mehr geschehen darf. auf dass keine künftige generation sich mehr derartig schämen muss. nicht in deutschland, nicht in israel, nicht in palästina.