Mittwoch, 30. April 2014

tagebuch der empörung IX

1. in den usa, im bundesstaat oklahoma, wurde an einem verurteilten mörder eine neue giftmischung ausprobiert. clayton lockett sollte am dienstag nachmittag mit dem tode bestraft werden. doch es kam viel schlimmer: erst eine dreiviertel stunde nach beginn der hinrichtung erlag er einem herzinfarkt, weil die giftmischung nicht wie gewünscht wirkte. 43 minuten voller qualen, die der mann auf der bahre bei bewusstsein mit seinem leben rang. und dieser vorfall ist nicht der erste seiner art. sowas hat wahrlich keiner verdient, auch kein mörder, auch wenn wir das manchmal nicht glauben wollen. wo bleibt da die menschenwürde? ein mann, der gemordet hat, wird doch nicht dadurch zum versuchskaninchen, dem man alles antun kann! und das publikum sitzt hinter einer glasscheibe und schaut dabei zu. die usa, die sich gern als weltverbesserer und überbringer von demokratie und menschenrechten aufspielen, sollten mal den blick von der glasscheibe lösen und mal einen blick in den spiegel werfen. 

2. in hoyerswerda sind flüchtlinge wieder rassistischen ausschreitungen ausgesetzt und keinen störts. einzig die taz (neonazis in hoyerswerda) und der störungsmelder der zeit (angriff auf asylbewerberheim in hoyerswerda) berichten darüber, die anderen medien erwähnen die vorfälle mit keinem wort. dabei werden die menschen vor ort nicht nur beleidigt und beschimpft, sondern auch bedroht. nachts kommt es zu einbrüchen mit einem hammer, frauen werden auf der strasse körperlich bedrängt. die heimbewohner haben sich mittlerweile mit einem hilferuf an die bevölkerung gewandt. das landratsamt bautzen, das für die unterbringung der flüchtlinge verantwortlich ist, unternimmt ebenfalls nichts. ihr sprecher meint schlicht, dass ein wachmann vor ort auch nichts ändern werde. diese haltung ist ein skandal, denn wenn andere, scheinbar schützenswertere menschen, bedroht werden gibt es doch auch personal der polizei. und bei demonstrationen, fussballspielen und anderen grossereignissen kommt auch keiner mit dem argument, da würde kein wachmann was nützen. da bleibt mir nur, konstantin wecker mit seiner ballade von antonio amadeu kiowa zu zitieren, denn seit 1993 hat sich hier nichts geändert: 

„grad jetzt in münchen haben sie beim weltwirtschaftsgipfel armeen angekarrt, um den staat gegen hundert leut mit ihre trillerpfeifen zu schützen, aber da ging's halt gegen hohe politiker, wertvollere menschen anscheinend, weil jetzt, jetzt macht die polizei einen schichtwechsel, wenn vietnamesen abgefackelt werden und schwarze aufgeklatscht. abfackeln, aufklatschen, ja wo samma denn, willy - und glaubst du, einer unserer politiker hätte sich persönlich entschuldigt, nix da, als antwort auf diese schweinereien haben sie versprochen, das asylproblem in den griff zu bekommen - dem mob recht geben, nur um an der macht zu bleiben und die nächsten wahlen zu gewinnen, pfui deife, willy, pfui deife!“

Sonntag, 16. März 2014

vom antifeminismus

diese woche hat die parteijugend der alternative für deutschland eine fotoserie unter dem titel „gleichberechtigung statt gleichmacherei“ veröffentlicht, in denen sie stellung gegen den feminismus bezieht (zusammenstellung bei amy&pink). um ein paar beispiele zu nennen: „ich bin kein feminist, weil ich vernunft über genderwahn stelle“, „ich bin keine feministin, weil mein mann mein fels in der brandung ist und nicht mein klassenfeind“, „ich bin kein feminist, weil eine mutter genauso wertvoll ist wie eine vorstandschefin“, und dann noch „ich stehe auf frauen, die den feminismus ablehnen, weil ich wahre weiblichkeit wunderschön finde“. und und und.

mich schockiert das und ernüchtert es, denken doch vermutlich soviele menschen in deutschland auf diese weise. schon vor knapp zwei jahren habe ich einen text dazu geschrieben (vom feminismus) und es ist immer noch gültig: feminismus wird falsch verstanden und zu unrecht schlecht gemacht, und zwar von menschen aus allen sozialen schichten, mit den verschiedensten herkünften und hintergründen, unabhängig von gender und alter. ich könnte kotzen.

ich könnte kotzen bei soviel unreflektiertheit. bei feminismus denken manche scheinbar immer noch nur alice schwarzer und ihre zeitschrift emma – von der ich mich hiermit erneut distanziere – und irgendwelche überkommenen vorstellungen von der emanzipierten, männerhassenden und frigiden frau. dabei gibt es soviele formen von feminismus. 

mitleid habe ich ein bisschen auch, denn die sprüche der jungen afd sind zum teil sogar ungewollt feministisch. z.b. der hier: „ich bin keine feministin, weil jede frau selbst entscheiden kann, ob sie hausfrau wird.“ na klar – du bist feministin, denn das ist genau das, wofür sich der feminismus stark macht! dass jede selbst entscheiden kann, was sie mit ihrem leben macht! 

ich schwanke zwischen mitleid und spott, zwischen frustration und resignation. ich bin auch nicht der meinung, wir müssten feminismus-image betreiben, denn jeder der genau hinschaut, wird sehen, welche feminismen es heute gibt. und vor allem um was es dabei wirklich geht. das scheint den wenigsten klar zu sein. 

solange das so ist brauchen wir den feminismus. und viele menschen, die sich ganz klar für ihn positionieren und engagieren.

Freitag, 7. Februar 2014

verzerrte bilder

vergangene woche demonstrierten in stuttgart etwa 500 personen gegen den neuen bildungsplan der baden-württembergischen landesregierung. sie nannten sich „besorgte eltern“ und ihr hauptschlachtruf war „schützt unsere kinder“. nagut, besorgt bin ich manchmal auch und ich will gerne alle kinder der welt schützen. die frage ist: vor was?

diese menschen möchten nicht, dass sexuelle vielfalt mehr in den lehrplan miteinbezogen werden soll. und sie möchten ihre kinder vor homosexuellen und transsexuellen und sowieso allem, was ihnen selbst fremd ist, beschützen (wer sich das alles nicht vorstellen kann, dem empfehle ich diese video-zusammenfassung).

neben der besorgnis kommt dann auch noch große unwissenheit und unkenntnis hinzu. alles wird vermischt. auf ihren transparenten klagen sie „gegen pornographieunterricht in den schulen“ oder gar „gegen sex in jedem fach“. es zeigt, wie wenig sie verstanden haben. und manche wollen es scheinbar auch nicht verstehen. sie erklären sich scheinbar reflektiert als nicht homophob, fordern dann aber ausschliesslich heterosexuelle lehrer für ihre kinder. sie argumentieren mit der christlichen nächstenliebe, kommen aber mit andersartigkeit nicht klar. bzw. was heisst andersartigkeit? sie kommen mit der realität nicht klar! sie können nicht akzeptieren, dass in schulbüchern und im geschichtsunterricht themen diskutiert werden, die sowieso alltag sind. das alles ist nichts fremdes, es ist nichts andersartiges. es müsste einfach mal in den köpfen ankommen, dass beispielsweise homosexualität normal ist. dass es schwule und lesbische menschen weltweit gibt, dass sie genauso gute babysitter, lehrer und einfach mitmenschen sein können. und dass die sexuelle orientierung doch faktisch erstmal keine rolle spielt bei dem, wie wir uns begegnen.

diese menschen sind so verblendet in ihren argumenten. sie warnen vor sex, dabei geht es dem kultusministerium um liebe. es geht nicht um sexuelle praktiken, es geht darum, in wen menschen sich verlieben. ja, dass der eine mann männer mag und der andere frauen. und manch einer beides, der macht überhaupt keine unterscheidung mehr, sondern schaut einfach nur den menschen an. 

tragisch ist, dass in den etablierten medien diese verzerrte wahrnehmung der menschen nicht herüberkam (z.b. artikel in der süddeutschen). zwar wurde über die demonstration und auch über die gegenaktion berichtet, doch da werden meistens die einen nur als besorgte eltern und die anderen nur als antifas dargestellt (welche tatsächlich nur einen kleinen anteil der demo darstellten). denn: die gegendemo war friedlich, fröhlich und wunderbar bunt gemischt. da gab es religiöse und nicht-religiöse, junge und alte, alle geschlechter, alle möglichen sexuellen sowie politischen orientierungen - kurz: eine bunte gruppe, wie unsere gesellschaft nunmal ist. vereint hat diese wirklich verschiedenen menschen wahrscheinlich nur eins: nächstenliebe.

Montag, 23. Dezember 2013

von polizeigewalt

die ereignisse in hamburg um die rote flora zeigen wieder mal, wie einseitig unsere berichterstattung in den medien ist. pressemitteilungen der polizei werden unkommentiert und unreflektiert übernommen, als seien sie eine neutrale instanz. tage später, wenn augenzeuginnenberichte dazukommen, wird das erfahrungsgemäß oft revidiert oder zumindest relativiert. doch dann sind die bilder schon festgefahren, denn so flexibel ist die deutsche durchschnittsbürgerin nunmal nicht. von hunderten gewaltbereiten, vermummten demonstrantinnen, die wieder mal alle regeln brechen und steine werfen. von polizistinnen, die sich opferbereit dagegen stemmen, um weitere schäden zu verhindern und dabei selbst schaden nehmen. das ist die eine seite der medaille. und wahrscheinlich gibt es auch diese demonstrantinnen und es gibt auch diese polizistinnen. aber genauso gibt es die andere seite der medaille. eine viel größere anzahl an friedlichen demonstrantinnen, die in ihren rechten eingeschränkt werden. und ja, auch eine gewisse anzahl an gewaltbereiten und aggressiv auftretenden polizistinnen. einer mangelnden kennzeichnungspflicht sei dank können diese schwer erkannt und benannt werden. das passt denen da oben so schön. es passt ihnen auch, dass die journalistinnen sich nicht selbst ins getümmel wagen, sich nicht ein eigenes bild machen und sich trauen, darüber zu berichten. nein, erstmal werden pressetexte der polizei übernommen in ermangelung eigener berichte. ein paar tage später kommen dann andere seiten hinzu, nicht nur in den klassischen linken medien. auch der ndr beispielsweise berichtet mittlerweile kritisch und mit vielen fragezeichen (z.b. hier). 

es ist nicht das erste mal, dass man diese form der polizeigewalt über die medien beobachten kann, leider. aber die ereignisse dieser woche in hamburg sind ein paradebeispiel für genau diese vorgänge. in den köpfen bleiben nur linke steinewerferinnen und krawallmacherinnen – sowieso alles schwarzer block, d.h. böse menschen. und wer irgendwie dabei war, ist auf jeden fall auch einer dieser bösen menschen. und wer darüber spricht, sich empört, und versucht, die andere seite aufzuzeigen ist naja, auch schon ein ganz bisschen ein böser mensch. so wie ich.

Samstag, 23. November 2013

schatten der nacht

ich lebe in einer eher beschaulichen stadt, die für ihre romantik bekannt ist. besonders groß ist sie auch nicht und viele bewohner glauben, hier gibt es keine kriminalität und hier würden alle in frieden miteinander leben.

vergangene nacht war ich in einem club tanzen. ein grüppchen jungs fällt mir und meiner freundin auf, um die 20 jahre alt sind sie etwa. man merkt, sie sind auf streit aus. sie sind (vom alkohol?) aggressiv und in pöbellaune. ganz in der nähe tanzt ein schwarzer, zu dem bewegen sie sich hin. von entspanntem tanzen kann keine rede mehr sein, ich warte angespannt ab, was passieren wird, obwohl es in diesem club eigentlich immer sehr friedlich zugeht. und dann: sie prügeln nicht, sie beschimpfen nicht. sie gehen viel feiner vor. sie tanzen so neben ihn, dass sie ihn „wegtanzen“, er hat kaum mehr platz. als er sie darauf hinweist, schauen sie ihn verächtlich an. er wird weiter angeboxt. nach einer weile geht er raus. später sehe ich ihn draussen sitzen und spreche ihn an. ob alles ok ist und was die jungs zu ihm gesagt haben, möchte ich wissen. er meint, es sei alles ok, aber diese kerle wären auf stress aus gewesen. ob ich wüsste, was deren problem sei?

was soll ich antworten? dass sie offensichtlich ein problem mit schwarzer haut haben? dass sie rassisten sind?

was ist denn eigentlich deren problem?

einige zeit später brauche ich frischluft und ich gehe vor die tür. ich gehe ein paar schritte in der dunklen gasse entlang. drei jungs kommen auf mich zu, umringen mich. der eine sagt: „hey, ich hab 22,3 cm in der hose, magst du mal anfassen?“ der zweite meint: „ach, ich hab noch 5 cm mehr. glaubst du nicht, oder? komm, lang hier mal hin“. der dritte lacht dümmlich. ich reagiere empört und mache mich auf den weg nach drinnen. ja, sie haben mich nicht berührt, aber sie verletzen mich mit worten. sie machen angst. sie nutzen die situation der dunklen straße. es macht mich unglaublich wütend. darauf, dass ich mich in der straße fürchten muss. dass ich mir solche sprüche anhören muss. das mit mir und meinen ängsten gespielt wird. das ist sexuelle belästigung. und nein, das ist kein lustiger scherz.

Sonntag, 3. November 2013

von rechten

mit freude erfüllen mich die bilder aus hamburg, die heute durch die presse gehen: 9000 menschen (9000 menschen!) sind für die flüchtlinge auf die straße gegangen (z.b. bericht vom ndr). es zeigt mir, dass es doch überall menschen gibt, die füreinander einstehen.

gleichzeitig erreichen mich meldungen über die demonstrationen in schneeberg gegen ein asylbewerberheim (publikative.org). hier hat es die npd mal wieder geschafft, viele menschen mit ihrer hetze zu erreichen und zu einem gemeinsamen demonstrationszug zusammenzubekommen. die angst vor ankommenden flüchtlingen, von denen angeblich kriminalität und damit gefahr ausgeht, ist groß. geschürt hat sie unter anderem die rechtsextreme partei, jedoch auch einzelne wortführer aus allen richtungen. aber natürlich fruchtet solche hetze nur, wenn die grundhaltung der menschen diesen parolen nicht direkt widerspricht. sie muss auf fruchtbaren boden fallen, um durchzukommen. latente vorurteile gegenüber flüchtlingen, die aus unwissenheit, einzelnen schlechten erfahrungen oder berichten aus der yellow press stammen, können leicht angestachelt werden. es macht mich traurig und ich frage mich, ob diese menschen jemals in kontakt waren mit einem solchen flüchtling. ob sie ausländische freunde haben. mir selbst hat es oft die augen geöffnet, wenn ich mit asylbewerbern zu tun hatte. wenn ich erlebt habe, wer nach deutschland kommt und weshalb. dass diese menschen auch einfach menschen sind und menschenwürde erfahren wollen. und auch: dass sie sich  gerne einbringen möchten und nur allzuoft daran gehindert werden. dass wir freunde werden können. kein mensch ist illegal.

menschenwürde hätte ich auch gerne vor drei wochen in göppingen erfahren. bei den protestaktionen gegen die nazi-demonstration am 12.10. wurde ich gemeinsam mit 200 anderen in polizeilichem gewahrsam gehalten. etwa sechs stunden lang in eisiger kälte ohne essen und mit kaum etwas zu trinken wurden wir in einer art käfig festgehalten. wir waren in unseren freiheitsrechten beraubt.  zur sammelstelle gefahren wurden wir mit einem gefangenentransporter der polizei in zellen. wie schwerverbrecher wurden wir behandelt, zu den kleineren machtspielchen gehörte das duzen. keine presse war vor ort, kaum einer berichtet heute über die zustände dort. viele aus angst, viele aus unwissenheit. erst langsam kommen diese infos ans licht. ich war dabei, ich weiss, was alles passiert ist vor ort und wie es sich angefühlt hat. und ich weiss, dass in den pressemitteilungen der polizei nur teile der wahrheit genannt wurden und einiges verdreht wurde. das hat mich für einige wochen fast sprachlos gemacht. ohnmächtig fühle ich mich und ausgeliefert. handlungsunfähig. und am ende bleibt nur die wut.

Mittwoch, 21. August 2013

von tradition

vergangene woche forderte ein verein von sinti und roma die hersteller der sogenannten „zigeunersoße“ auf, ihr produkt umzubenennen. der begriff „zigeuner“ gilt lange schon als diskriminierend, wieso sollten also rote paprika-soßen so heißen? von den herstellern (unilever for allem) kommt das argument, man nenne diese soße nun einfach schon seit 100 jahren so.

das mag ja sein. aber stimmt das argument? ich meine nicht. nur weil man etwas immer schon so machte, sagt das nichts über die zulässigkeit von handlungen heute. beispielsweise ist es heute verpönt, seine kinder zu schlagen, auch wenn es vor 100 jahren noch teil der erziehung war. da sagt doch heute euch kaum einer, „was damals rechtens war …“!

ich verstehe die sorge der hersteller, dass ein produkt sich natürlich besser verkauft, wenn es unter dem namen bekannt und beliebt ist. aber mal ehrlich: wieviel trauen die ihren kunden zu? vielleicht ist der käufer die ersten male irritiert, wenn er ins regal greift und keine „zigeunersoße“ findet sondern eine „paprikasoße“, eine „pikante soße“ oder ähnliches. aber nach ein paar mal einkaufen hat man sich doch dran gewöhnt. soviel flexibilität traue ich dem menschen zu! und wer diese flexibilität nicht hat, sondern dinge so nennt, wie man sie immer schon so nannte, und dinge tut, weil man sie immer schon tat, der muss einem sowieso leid tun.

ich weiß, vielen schmeckt politische korrektheit nicht. aber für mich hat das festhalten an diskriminierenden begriffen, mögen sie noch soviel tradition transportieren, einen faden beigeschmack. nein, ich finde das sogar geschmacklos.

p.s. übrigens hatte ich schon vor zwei jahren über das thema geschrieben (rassig pikant). speziell über „zigeunersoßen“, die zusätzlich mit „rassig pikant“ klassifiziert sind. dass sich sowas hält, macht mich sprachlos.